Über die Geduld

pollywog

Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären...

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit...

Man muss Geduld haben

Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke, 1875 - 1926


Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Joseph von Eichendorff, 1788 - 1857



Ich singe Lob der Erde

Schön ist die Erde!
Erhebend das Wissen, auf ihrer Fläche zu stehen,
und nichts kann erniedrigen
das hohe Gefühl meiner Seele, in einem Menschen zu wohnen.
Wohl ist gewaltig des Himmels wolkenbefahrenes Meer
mit seinen silbernen Inseln, den Sternen,
auf denen die Götter der Sage,
die Helden der Märchen wohnen,
und wundervoll glänzen die goldenen Dächer der Sonne,
der Burg Gottes,
in der durch diamantene Hallen
die Seligen wandeln.
Doch stünde ich oben zwischen den Göttern und Geistern,
im Ohr der Engel Posaunenmusik
und den seraphischen Gesang,
getränkt mit den bittersten Erfahrungen
aller bisher verstorbenen Brüder und Schwestern,
und sähe ich tief unter mir atmen und beben
die schweigsam liebenden Wälder,
die Horizonte stützenden Ebenen,
die Städte, des schäumenden Lebens voll,
das wuchtige Strömen der Flüsse,
das Donnergewoge der Meere,
die Stätten der keuchenden Arbeit,
die Berge, Quellen, zuckenden Tiergestalten
und mitten darunter den kämpfenden, leidenden,
aber doch aufrechten Menschen,
ich zerginge vor Sehnsucht im Reich der Verklärten
nach der schönen Lust und Qual
meiner Erde.

Alfons Petzold, 1882 - 1923



Glück

Glück ist gar nicht mal so selten,
Glück wird überall beschert,
Vieles kann als Glück uns gelten,
was das Leben uns so lehrt.

Glück ist jeder neue Morgen,
Glück ist bunte Blumenpracht,
Glück sind Tage ohne Sorgen,
Glück ist, wenn man fröhlich lacht.

Glück ist Regen, wenn es heiß ist,
Glück ist Sonne nach dem Guss,
Glück ist, wenn ein Kind ein Eis isst,
Glück ist auch ein lieber Gruß.

Glück ist Wärme, wenn es kalt ist,
Glück ist weißer Meeresstrand,
Glück ist Ruhe, die im Wald ist,
Glück ist einen Freundes Hand.

Glück ist eine stille Stunde,
Glück ist auch ein gutes Buch,
Glück ist Spaß in froher Runde,
Glück ist freundlicher Besuch.

Glück ist niemals ortsgebunden,
Glück kennt keine Jahreszeit,
Glück hat immer der gefunden,
der sich seines Lebens freut.

Autor unbekannt - oft irrtümlicherweise Clemens von Brentano (1778 - 1842) zugeschrieben


Ein grünes Blatt

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so im Wandern mit,
Auf dass es einst mir möge sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

Theodor Storm, 1817 - 1888


Feldeinsamkeit

Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
und sende lange meinen Blick nach oben,
von Grillen rings umschwirrt ohn Unterlass,
von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Und schöne weiße Wolken ziehn dahin
durchs tiefe Blau, wie schöne stille Träume;
mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
und ziehe selig mit durch ewge Räume.

Hermann Allmers, 1821 - 1902


Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Joseph von Eichendorff, 1788 - 1857


Spätherbst

Wolken

Der graue Nebel tropft so still
Herab auf Feld und Wald und Heide,
Als ob der Himmel weinen will
In übergroßem Leide.

Die Blumen wollen nicht mehr blühn,
Die Vöglein schweigen in den Hainen,
Es starb sogar das letzte Grün,
Da mag er auch wohl weinen.

Hermann Allmers, 1821 - 1902


Hoffnung

Schlägt die Hoffnung fehl,
nie fehle dir das Hoffen!
Ein Tor ist zugetan,
doch tausend sind noch offen.

Friedrich Rückert, 1788 - 1866