Ich bin der Wald

Wald Abend

Ich bin der Wald
Ich bin uralt
Ich hege den Hirsch
Ich hege das Reh
Ich schütz Euch vor Sturm
Ich schütz Euch vor Schnee
Ich wehre dem Frost
Ich wahre die Quelle
Ich hüte die Scholle
Bin immer zur Stelle
Ich bau Euch das Haus
Ich heiz Euch den Herd
Drum ihr Menschen
Haltet mich wert!

Inschrift an einem niedersächsischen Forsthaus aus dem 17. Jhdt.



Der Wald

O Wald mit deinen Hallen,
So kühn und hoch gebaut,
Mit deinem linden Säuseln,
Mit deinem Sturmeslaut. –

Will meine Kraft ermatten,
Ist mir die Brust erschlafft,
Du gibst mir Luft und Schatten
Und neue Lebenskraft. –

In deinem heil’gen Wehen
Vergeß ich all mein Leid,
Wird mir der Odem freier,
Wird mir die Seele weit.

Heinrich Kämpchen, deutscher Bergmann und Arbeiterdichter, 1847–1912



Nachtstiller Wald

Nachtstiller Wald, du schwarzgebreitet Meer,
Aufschauernd tauch ich tief in deine Flut.
Nun lastet deine Tiefe über mir,
Und deine große Stille um mich ruht.

Von ferne rauscht die Brandung hoch herein,
Das schwillt und sinkt und ebbt verklingend aus.
Nun ist der Meergrund traut wie’s Kämmerlein
Und meiner Unrast friedlich Totenhaus.

Paul Haller, schweizer Schriftsteller, 1822–1918



Durch den Wald

klippe

Durch den Wald, den frühbesonnten,
Schreiten meine Wanderfüße;
Schreiten ohne Sünd und Sorgen
In den frohbewegten Morgen.

War ich erst so bang gemutet,
Leichtet sich mit eins die Seele,
Und mein Herz geht springend weiter
Auf der mutbesproßten Leiter.

Was mir je die Freude hemmte.
Will ich hier im Wald begraben;
Will auf meinen leichten Füßen
Heut die ganze Welt noch grüßen!

Paul Haller, schweizer Schriftsteller, 1822–1918



Nur eine Stunde im grünen Wald

Nur eine Stunde von Menschen fern,
Nur eine einzige Stunde!
Statt der tönenden Worte des Waldes Schweigen,
Statt des wirbelnden Tanzes der Elfen Reigen,
Statt der leuchtenden Kerzen den Abendstern,
Nur eine Stunde von Menschen fern!

Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Auf dem schwellenden Rasen umhaucht von Düften,
Gekühlt von den reinen balsamischen Lüften,
Wo von ferne leise das Echo schallt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!

Nur eine Stunde im grünen Wald,
Nur eine einzige Stunde!
Wo die Halme und Blumen sich flüsternd neigen,
Wo die Vögel sich wiegen auf schwankenden Zweigen,
Wo die Quelle rauscht aus dem Felsenspalt,
Nur eine Stunde im grünen Wald!

Auguste Kurs, 1815 - 1892, deutsche Dichterin