Der Aufzug erschrak, als er vom Klimawandel hörte.
Die zwei Damen hatten gesagt, dass Wetterlagen jetzt länger an einem Ort verweilen würden
und es dadurch vermehrt zu Hitzewellen und Starkregen käme. Starkregen, der Aufzug wusste, was das bedeutete.
Letztes Frühjahr hatte die Tiefgarage kniehoch unter Wasser gestanden und er wäre beinahe hinein gefahren.
Seine unteren Gestänge waren nass geworden und man musste sie, um Schäden zu verhindern, mit Heißluft trocknen.
Wenn es seine Elektronik betroffen hätte, dann adieu.
Der Aufzug war gerne Aufzug. Früh morgens wartete er unten, um die ersten Kollegen ins Büro zu fahren,
und nachmittags hielt er sich vorausschauend in den oberen Stockwerken auf.
Wenn auf mehreren Etagen gleichzeitig gedrückt wurde, optimierte er die Fahrt seiner zwei Kabinen so,
dass alle zügig abgeholt wurden. Er träumte davon, während der Fahrt leise Musik in seine Kabinen rieseln zu lassen,
aber das hatten sie bislang nur den Toiletten zugestanden. Na ja, immerhin war er besser auf dem Laufenden.
Unser steigender Energieverbrauch würde den Klimawandel anheizen. Auch das hatte die eine Dame gesagt.
Energie, die verbrauchte auch er. "Vielleicht", dachte er sich, "könnte ich ein bisschen davon einsparen."
Gerne hätte er noch mehr gehört, aber die Damen stiegen aus und schienen ab jetzt immer öfter das
Treppenhaus zu benutzen.
Früher war er aus Langeweile schon mal ein paar Stockwerke alleine gefahren,
hatte sich umgeschaut und frische Luft in die Kabinen gelassen.
Das ziellose Umherfahren stellte er jetzt ein und versuchte engagiert,
seine Fahrten noch mehr zu optimieren. Während er früher schon mal auf gut Glück in die Siebte gefahren
war und dort gewartet hatte, verkniff er sich das jetzt. Auch schaute er nun, wenn Leute die Kabine betreten hatten,
nach, ob noch weitere eintreffen könnten und schloss erst dann seine Tür.
Nach einer Weile begann er sich über Leute zu ärgern, die nur wenige Etagen nach unten fuhren.
Ein Raucher aus der Zweiten fuhr jeden Tag dreimal die zwei Etagen ins Erdgeschoss
und wieder hinauf. "Warum läuft der nicht? Wenn er so weitermacht, bekommt er noch Raucherbeine."
Der Aufzug beeilte sich nicht mehr, wenn der Raucher drückte.
Doch der hatte Zeit und ließ sich nicht beeindrucken.
Auch als der Aufzug sich demonstrativ von einem Treppenhausbenutzer überholen ließ,
obwohl der Läufer erst nach ihm gestartet war, änderte der Raucher sein Verhalten kein Stück.
Immer eigensinniger trödelte der Aufzug nun auch bei anderen Fahrten.
Mindestens zwei Personen sollten schon vor ihm stehen, bevor er öffnete.
Zudem überlegte er ernsthaft, ob er jede Fahrt eine Etage zu früh beenden sollte.
Die letzte Treppe könnte man ja gehen.
Es war nicht so, dass er ungern Personen beförderte.
Im Gegenteil. Die gehbehinderte Dame aus der Dritten fuhr er bevorzugt. Immer war er zur Stelle,
wenn sie kam; zügig und ganz ruckelfrei wurde sie ans Ziel gebracht.
Einmal hatte sie sich an ihn gelehnt und gemeint: "Wenn du nicht wärst, könnte ich hier nicht mehr arbeiten."
Da ist er umso stolzer mit ihr nach oben gebraust.
Letzte Woche während des Feueralarms - eigentlich ist es ja nie ein Feuer,
sondern immer nur ein technischer Defekt - sollte er, wie vorgeschrieben,
ins Erdgeschoss fahren und dort mit offenen Türen stehen bleiben.
Und auf seiner Fahrt bloß keinen mitnehmen.
Trotzdem hat er eine Kabine in die Dritte geschickt und dort auf die Dame gewartet.
Erst als er sah, wie sie von zwei Kollegen durch das Treppenhaus geleitet wurde,
ist er dann mit Zwischenstopps in der Zweiten und Ersten nach unten gefahren.
Neulich, als im Erdgeschoss zwei Herren in Sakkos vor ihm standen und mit ihrer Marathonerfahrung prahlten,
weigerte er sich, die Tür zu öffnen. "Die wollen nur in die Dritte." Doch sie plauderten einfach weiter.
Erst als die kleine Drahtige aus der Perso im Siebten mit einem freundlichen "Guten Morgen" an ihnen vorbei im
Treppenhaus verschwand, reagierten sie: "Vielleicht sollten wir auch mal?"
Dieses Erfolgserlebnis bestärkte den Aufzug in seinem Tun und er wurde mutiger.
"Pass auf, das gibt Ärger", warnte ihn das Treppenhaus.
Von jetzt an konnte man sicher sein, dass man mindestens fünf Minuten warten musste,
wenn man den Aufzug heranholte. Auch hielt er manchmal, obwohl man alleine im Aufzug war,
in leeren Etagen und wenn man dann ausstieg, musste man erstaunt feststellen,
dass man noch eine Etage hätte weiterfahren müssen. Leute, die in der ersten oder zweiten Etage arbeiteten,
schien er ganz zu meiden oder er schüttelte sie so durch, dass sie bald das Treppenhaus vorzogen.
Als an einem Tag gleich fünf Leute vom Erdgeschoss in die Erste fuhren, wurde es ihm zu bunt und er streikte.
Alle mussten an diesem Tag zu Fuß laufen. Zum Glück hatte die gehbehinderte Dame Urlaub.
Als er dann ein paar ganz Unverbesserliche über eine Stunde zwischen zwei Etagen festhielt,
war es um ihn geschehen. Zwei Techniker rückten an, banden weißrotes Klebeband um seine
Türen und nahmen ihn auseinander. Am Ende mussten sie sich allerdings eingestehen: "Wir können nichts entdecken,
alles scheint in Ordnung zu sein. Aber wenn das noch mal vorkommt, müssen wir die gesamte Elektronik austauschen."
Das Treppenhaus konnte sich ein "Das hast du jetzt davon." nicht verkneifen.
Betrübt fuhr der Aufzug nun stoisch nach Abruf. Aber sein Pling klang irgendwie nicht mehr so fröhlich wie früher.
Wie sollte er nun Energie sparen?
Nach einigen Wochen und endlosen Diskussionen mit dem ihm eigentlich wohl
gesonnenen Treppenhaus, entschloss er sich, trotz des Risikos wieder ein wenig mit dem Energiesparen anzufangen.
Da kam eine überraschende Nachricht. Freudestrahlend berichtete das Treppenhaus, dass es gehört hätte,
dass jetzt eine Photovoltaikanlage auf das Dach gebaut würde. Diese würde einen Großteil des Stromverbrauchs
abdecken und um mehr Eigenstrom zu verbrauchen, gäbe es zudem in der Tiefgarage einen Stromspeicher.
So haben wir jetzt einen zuverlässigen, ruckelfreien und präzisen Aufzug und nur
wenn es tagelang regnet, kann es schon mal sein, dass er etwas später kommt und man auf der Treppe schneller im siebten Stock angekommen wäre.